Traum und Wirklichkeit
Schmerz und hasserfüllte Schreie durchzogen noch immer die Nacht. Der Wald roch nach Tod und Verderben, eine Mischung aus Schwefel und verbranntem Fleisch. Ein trügerischer Krieg der entfachte, ein Kampf der nach Verrat bis zum Himmel stank und so plötzlich einbrach, als wollten SIE sich von einer unangenehmen Last befreien. Waren es nun die langohrigen Lebewesen gewesen, die für ihre Gottes gleichen Lebensweise und Güte bekannt und so geschätzt waren? Hatten sie einen Fehler begangen, den sie nun restlos und gründlich säubern wollten? Keinen Funken Dankbarkeit hatten sie für ihre Beschwörungen übrig, für ihre „Kinder“ wie sie sie einst liebevoll nannten, als der erste Beschworene seine müden Augen öffnete und kraftvoll die Luft durch seine Nasenlöcher zog. Taten sie den Geschöpfen Unrecht, weil sie nun ihr Leben, das sie ihnen schenkten wieder auslöschen wollten? Schließlich war es jene Beschworenen zu verdanken, das die Bedrohung der Dämonen im Teufelswald stark reduziert wurde, haben die Worgen überwiegend die Drecksarbeit der Nachtelfen verrichtet, so wie es die Schildwache Verlinde Sternensang in ihrer Vision vernahm, als sie das geheimnisvolle Artefakt, die Sense von Elune, als Geschenk erhalten hatte. Wollte sie „Gott“ spielen oder wirklich nur ihrem Volke helfen? Man weiß es nicht und diese Gedankengänge blieben wohl auch auf ewig unerreichbar. Fakt war, sie beschworen die Worgen zu ihrem eigenen Nutzen, entrissen aus den physikalischen Grenzen Azeroth und dem wilden, dichten Urwald des smaragdgrünen Traumes, mussten sie nun gehorchen und kämpfen.
Der smaragdgrüne Traum … Traum … ja ein Traum, gar ein schrecklicher war es nun hier auf dieser entwickelten Welt, Alptraum gleich könnte man das Gefühl wohl beschreiben, was die dunkelbraune Worgin durchfuhr, dachte sie an die vergangenen Stunden zurück, als die erste Kehle eines gehorsamen Wesens von seinem Schöpfer durchtrennt wurde. Narra war am Rande des Teufelswaldes geflüchtet, jenen, den sie schon gar als neue Heimat akzeptieren wollte. Auf einer bevorzugten Anhöhe hatte sie einen Überblick, sah die Wipfel der karg werdenden Baumkronen und ließ ihren Blick über die lodernden Flammen schweifen. Insgeheim wusste sie, das diese Nacht einbrechen und sich das Blatt ändern würde. Ihr Gefährte ließ sie schon eine Weile zuvor an seinen Gedanken teilhaben, diesbezüglich irrte er sich auch nie, hatte er einen sehr gut ausgeprägten Spürsinn und Instinkt für solche Dinge. Unangenehmer Geruch machte sich breit und zog seine Bahnen auch zwischen Bäume und Sträucher, ein Gemisch aus verbrannten Fell und Fleisch, die Ausdünste der Leichen gaben in der Hitze der Feuerstellen ungeheuerliche Geräusche von sich, als würden die Seelen der hingerichteten Worgen qualvoll aufschreien um ein zweites mal ihr jähes Ende zu finden. Narra verweilte in ihrer gewohnten Position; mit ihrem Vorderkörper auf dem Boden liegend und die kraftvollen Hinterläufe angewinkelt, bereit jeden Moment aufzuspringen, um sich und ihren Begleiter zu verteidigen.
Sie senkte missmutig schnaubend ihren Blick, richtete nun ihr Augenmerk auf den schlafenden, kleinen Welpen, der eingerollt zwischen ihren Vorderpfoten lag und sich wohl nichts von dem Abschlachten mitbekam. `Wie unschuldig du bist, kleiner Seran ...´ dachte sie die Worgin, schob ihre Schnauze hinab, um liebevoll mütterlich mit der rauen Zunge über das weiche Fell des Sohnes zu lecken. Ausführlich gründlich, so hatte Narra wohl ihre eigene Art und Weise von Säuberung im Sinn. Gedankenverloren schien sie, der grünlich schimmernde Mond, dessen Schein sich durch Nebel und Schwefelschwaden bahnen musste, ließ die Erscheinung der Worgin düster wirken. Sie waren gewiss keine Wesen, mit denen man sich belustigend über den Sinn es Lebens unterhalten könnte, doch auch in ihnen schlug ein wildes, starkes Herz, und ihres sehnte sich gar danach die Zeit zurück drehen zu können, um einiges ungeschehen machen zu lassen. Sie wollte nicht fort, sie hätte ihre Fähigkeiten und Instinkte genutzt, den ungleichen Kampf an seiner zu bewältigen, bis zum Tod und darüber hinaus. Marconor, ihr stattlicher Gefährte und sehr guter Krieger, wenn es ums Überleben ging, wollte sie wider Willens fliehen lassen, um seine Familie in Sicherheit zu wissen. Dafür musste er aber eine Grenze in Narra überschreiten, die nicht einfach war, verfügten alle über einen ausgeprägten und sprichwörtlichen Dickschädel, wenn es um die Durchsetzung ihres Willens ging. Er ließ keinerlei Diskussion zu, sicher wollte der Worgen nur das Beste für seine Gefährtin und den entsprungenen Zögling, musste er Narra fast brutal und aggressiv in die Schranken weisen und zwingen sich und Seran in Sicherheit, fernab der Säuberung, zu bringen.
Nun lag sie Abseits von all dem hinterhältigen Treiben des Waldes. Leises seufzen entwich ihrem kehligen Hals, die Ohren aufgestellt und kreisend, um hoffentlich seine vertraute Stimme zu vernehmen. Lange würde sie nicht mehr warten können, denn sie wusste das sie und ihr Sohn von nun an zu Gejagten wurden. Den Nachtelfen sagte man nach, sie seien in ihren Handhabungen sehr gründlich und wahrscheinlich kannte jeder einzelne von ihnen die genaue Anzahl von beschworenen Worgen. Doch dieser Gedanke verdrängte Narra zu diesem Zeitpunkt, als sie ihren Kopf wieder hob, um in das träumende Gesicht ihres Sohnes zu blicken. Leise winselte das Bündel unter ihr, sie schenkte ihm ein Lefzen angehobenes Lächeln und stupste ihn mit der feuchten Nase an. „Trink, mein Kleiner …“ hauchte sie ihm leise entgegen, nahm sein Nackenfell sanft zwischen ihre Zähne und hob ihn etwas an, das sie sich seitlich drehen und anlegen konnte, um ihn zu säugen. Abstützend mit dem Ellenbogen an ihrem Kopf suchte sich Narra eine angenehmere Position und betrachtete Seran, wie er sich von der Muttermilch nährte. „Du bist deinem Vater so ähnlich ...“ säuselte sie, leicht Schmerz verzerrend, da der kleine Rüde mit den Pranken drückend und gelegentlich in die Brust beißend gierig seinen Hunger stillte.
Kein einziges Lebenszeichen war zu vernehmen, selbst die Krähen und Aasfresser hatten sich nicht getraut die Säuberung zu stören. Unbehagen machte sich mehr und mehr in Narra breit, wie sollte sie alleine mit einem Welpen weiterleben? Es musste doch noch andere überlebende Worgen geben … Marconor … hatte es ihn erwischt? Nein, das durfte nicht wahr sein … vielleicht war er verletzt, hatte sich in einen der Höhlen versteckt und wartete nun auf seine Familie um zusammen … Narra schüttelte ihre wirren Gedanken aus den Schädel. Sie brauchte einen freien Kopf, um nachzudenken, was nun ihr nächster Schritt sein würde. Rülpsend half der kleine Seran seiner Mutter dabei, klaren Verstandes zu bleiben, da er offensichtlich nun mehr als gesättigt war und wieder müde gähnte. Die Zeit war gekommen aufzubrechen, so erhob sich das Wolfs artige, große Wesen, richtete sich auf die Hinterläufe auf und ließ noch ein letztes Mal aufmerksam ihre geschärften Sinne schweifen. Der Wald begann machte seinem Namen alle Ehre zu machen, es war teuflisch ruhig geworden, doch dieser stechend beißende Geruch war noch immer vorhanden. Narra ging auf alle Vieren, beugte sich zu ihrem Sohn runter, nahm ihn im Nackengriff abermals zwischen ihren Zähnen auf und begann leise sich von der Anhöhe zu bewegen. Von nun an würde sie nicht lange rasten oder ruhen können, wenn die Jäger erst einmal ihre Fährte aufgenommen haben. Doch sie nutzte die Gelegenheit des Todes, um ihr Geruch und Spuren geschickt zu überdecken, um einen kleinen Vorsprung zu bekommen.
Möge der Wettlauf mit der Zeit beginnen!
(( (Auszug aus dem ersten Abschnitt) ))